Im Oktober 2002 wurde bei unserem damals 6-jährigen Sohn Severin ein bösartiger Hirntumor festgestellt. Uns quälten viele Ängste, wirre Gedanken kamen, schwierige Fragen: Was wird geschehen? Was erwartet uns jetzt? Schaffen wir das?
Uns erwartete eine helle, freundliche Kinderkrebsstation in der Universitätsklinik Köln. Eine Schwester versuchte Ängste zu nehmen: „Severin, hast Du schon unsere vielen Videos gesehen auf dem Flur?“
Im Esszimmer fand an unserem ersten Tag auf Station eines der gemeinsamen Abendessen statt, die vom Förderverein für krebskranke Kinder e.V. Köln organisiert werden. An diesem Abend fragte ich mich, ob ich wirklich auf einer Kinderkrebsstation gelandet bin. Da saßen Mütter mit ihren Kindern beim Essen, redeten und lachten – für mich geradezu grotesk. Nach kurzer Zeit auf dieser Station waren wir jedoch mehr als froh über die willkommene Abwechslung – auch vom Speiseplan des Klinikessens. Mehr jedoch über die Gespräche, die ich dort mit anderen Eltern und den Mitarbeiterinnen des Fördervereins führen konnte. Später fragte Severin oft: „Gibt’s am Dienstag wieder Essen?“.
Severins Therapie war mit vielen Hochs und Tiefs verbunden. So waren wir z.B. wegen Infektgefahr für sieben Wochen isoliert, im Zimmer eingesperrt. Täglich kamen die Kunsttherapeutin zum Malen oder Töpfern und die Erzieherin zum Spielen. Das waren für mich kleine Ruhepausen zum Luftholen und für Severin heiß ersehnte Abwechslung. Diese Wochen, in denen wir 24 Stunden in einem Zimmer zusammen sein mussten, wären für mich ohne diese Betreuung, die durch den Förderverein ermöglicht wurde, unvorstellbar gewesen.
Im Sommer 2003 stirbt Severins kleine Freundin auf Station. Ich bin nicht in der Lage, meinen Sohn aufzufangen. Wieder ist es die Kunsttherapeutin, neben anderen, die für ihn da ist. Malen als Therapie. Die Bilder, die an diesem Tag entstanden, hängen heute bei uns zu Haus und sind zu wertvollen Erinnerungsstücken geworden.
Dann der Zwiespalt, wenn Severins Schwester Sinah zu Besuch kam, aber nicht ins Krankenzimmer mochte, weil sie den notwendigen Mundschutz nicht anziehen wollte. Stattdessen konnte sie im Spielzimmer mit der Erzieherin spielen.
Wenn Severin zwischendurch ernsthaft sagte „Mama, ich mache Urlaub auf Station“, lag das auch an den vielen lieben Menschen auf Station und aus dem Elternhaus.
Wir konnten Lebensfreude wieder finden, z.B. beim Karneval in der Wolkenburg, bei der Weihnachtsfeier, beim Eishockey-Spiel in der Kölnarena, bei einer Piratenfahrt auf dem Rhein – alles möglich durch den Förderverein.
Nach sieben Monaten Therapie, d.h. nach Chemo, Bestrahlung und mehreren Operationen wurde Severin eingeladen zu Reiterferien auf dem Hirschberg. Nur weil ich tiefes Vertrauen in die Betreuerinnen des Fördervereins hatte, war es mir möglich, Severin allein dort hin fahren zu lassen. Wie ausgewechselt kam er wieder. Mit neuem Selbstbewusstsein, gestärktem Kampfgeist und einer neuen Leidenschaft, nämlich dem Reiten.
Nach 13 Monaten mussten wir erfahren, dass Severin austherapiert war. Keine Chance mehr. Zum Sterben gingen wir nach Hause. Wir bekamen auch dann noch Besuch aus dem Elternhaus des Fördervereins- mit Severins Lieblingsspiel im Gepäck.
Und Heute? Wir sind eine verwaiste Familie. Aber nicht allein. Gespräche mit lieben Menschen vom Förderverein und Gleichgesinnten im Trauerkreis für verwaiste Eltern im Elternhaus helfen heute weiter.
Dennoch – es ist ein Alptraum. Mein Kind hat Krebs. Lebenskrise. Doch damit betroffene Kinder mit ihren Geschwistern und Eltern die gleiche Unterstützung wie unsere Familie bekommen, dafür bin ich heute Mitglied im Vorstand des Fördervereins für krebskranke Kinder e.V. Köln.
Monika Burger-Schmidt